Auf zielorientierte Zusammenarbeit kommt es bei der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle an
Die Befruchtung der Eizelle ist keineswegs das Ergebnis gnadenloser Konkurrenz. Unser Bild vom Zeugungsvorgang, bei dem Ei- und Samenzelle miteinander verschmelzen, sieht in etwa so aus: Im Eierstock reift ein Follikel zur Eizelle heran, die nach dem Eisprung über die Eileiter in Richtung Gebärmutter transportiert wird. Im Eileiter findet die Befruchtung der Eizelle statt, wenn dort Samenzellen und Eizellen aufeinander treffen. Diese Samenzelle, so der Kenntnisstand heute, hat bis dahin eine überaus anstrengende Zeit hinter sich: Mit Höchstgeschwindigkeit haben sich bis zu 900 Millionen Samenzellen in der Scheide auf den Weg Richtung Gebärmutter gemacht. Kein leichtes Unterfangen: Das Milieu in der Scheide ist pures Gift für die Samenzellen, und bis zur Gebärmutter ist es eine Strecke, die auf unsere Maßstäbe übertragen einem Weg von fünfeinhalb Kilometern entspricht.
Als erste bei der Eizelle ankommen, ein Auftrag jeder Samenzelle?
Jede Samenzelle folgt, so die weit verbreitete Vorstellung, einem einzigen Auftrag, nämlich als erste bei der Eizelle anzukommen, deren Außenhaut zu durchbohren und in den Kern der Zelle vorzudringen. Das Spermium „weiß“: Wenn es die Außenhülle durchbohrt hat, hat es gewonnen, die Eizelle kann jetzt nicht mehr durch ein anderes Spermium befruchtet werden. Der Vorgang ist abgeschlossen. Dr. med. Friedrich Gagsteiger, Kinderwunsch Zentrum Ulm beschreibt: „Die Befruchtung der Eizelle ist ein sehr komplexer Vorgang, der jedoch wenig mit gemeinhin vorstelligen Konkurrenz der Samenzellen untereinander zu tun hat.“ Tatsächlich, so ist Dr. med. Friedrich Gagsteiger, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe am Kinderwunsch Zentrum Ulm überzeugt, „ist die Befruchtung der Eizelle ein sehr differenzierter Vorgang. Und sie ist zudem vor allem eines: menschlich.“ Im Zeitraum zwischen Samenerguss und Verschmelzung von Ei- und Samenzelle fehlten jeglicher Egoismus oder konkurrierende Rücksichtslosigkeit. „Wir müssen das Vorurteil über Bord werfen, dass das Überleben des Stärkeren nach Darwin ein Kampf sei, der bereits im Mutterleib beginne“, betont Dr. med. Friedrich Gagsteiger.
Befruchtung der Eizelle: Vorurteil vom Überleben des Stärkeren über Bord werfen
Richtig sei vielmehr: Die Spermien landen in einer Wolke von Ejakulat in der Scheide. Müssten sie jetzt schwimmen, die Samenzellen wären dem Untergang geweiht, denn dafür sind sie nicht ausgerüstet. Ihr Schwanz, die Geißel, hilft ihnen bei einer einzigen Aufgabe: dem Durchbohren der Hülle, nicht aber bei der Vorwärtsbewegung über diese Distanz. Es sind vor allem die Muskelkontraktionen der Gebärmutter, die die Samenzellen Richtung Ziel schieben. Zusätzlich saugt der Gebärmutterhals die Zellen an und bildet somit eine Art „Shuttleservice“ für kleine Pakete voller Spermien, die in den Eileiter transportiert werden.
Muskelkontraktionen der Gebärmutter schieben die Samenzellen Richtung Ziel
Das Ziel ist die Eizelle, die, bereit für eine Befruchtung, chemische Stoffe aussendet. Von allen Seiten versuchen die Samenzellen, die es in den Eileiter geschafft haben, über die Hülle in die Eizelle vorzudringen. Schließlich gibt die Hülle nach und reißt an einer Stelle. Jenes Spermium, das zufällig an der geplatzten Stelle der Eihülle sitzt, wird das Ei befruchten. Die Samenzellen müssen also zusammenarbeiten. Eine allein schafft es nicht, die äußere Hülle des Eis abzutragen.